Viele Unternehmen in Deutschland haben begonnen, sich selbst zu hinterfragen: HR-Abteilungen überarbeiten Rekrutierungs- und Einstellungsprozesse, Diversity Management wird ganzheitlich in alle relevanten Prozesse des Employee Lifecycles integriert, um vielfältige Talente anzuziehen.
Aber es geht um viel mehr als nur darum, Arbeitsplätze mit Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu besetzen. Damit Führungspersönlichkeiten ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden, den wirtschaftlichen Mehrwert von DEI als zentralen Treiber für Innovation, Profitabilität und Motivation heben und den Unternehmenserfolg nachhaltig verbessern können, ist der entscheidende Faktor, eine inklusive Unternehmenskultur zu schaffen – eine Kultur, in der sich jede Person in ihrer eigenen Einzigartigkeit wertgeschätzt fühlt, um sich als Teil des Ganzen einzubringen, ohne sich verstellen zu müssen. Eine inklusive Kultur muss im Großen und Kleinen aktiv gestaltet werden. Dafür braucht es mutige Schritte der Veränderung.
Denn über Jahrzehnte wurde in deutschen Topetagen eine spezielle Art der Führung kultiviert – mit vielerorts prägendem Einfluss auf die Unternehmenskultur: Mitarbeiter:innen mussten in einem eng abgesteckten Erwartungsraum funktionieren. Der innere Kompass eines Unternehmens wies fast immer in dieselbe Richtung. Jetzt wächst die Erkenntnis, dass diese Kultur Führungspersönlichkeiten in ihrer Entwicklung einschränkt.
Diversität, das „D“, ist eine wichtige Voraussetzung, um den erforderlichen Veränderungsprozess anzustoßen. Deshalb ist es gut, dass sich – wenn auch viel zu langsam und oft zu eindimensional – etwas tut bei der Zusammensetzung deutscher Führungsgremien. In Bezug auf Genderdiversität ist etwa jedes dritte Aufsichtsratsmandat und jedes fünfte Vorstandsmandat in Deutschland von einer Frau besetzt – natürlich auch dank der Einführung der Geschlechterquote für beide Führungsgremien.
Bei Genderdiversität gibt es also Fortschritte. Was andere Dimensionen angeht, etwa Migrationsgeschichte, liegt noch ein weiter Weg vor uns.
Über eine vielfältige Besetzung hinaus braucht es aber, jenseits der Diversitätsdimensionen, viele andere Elemente, damit eine inklusive Unternehmenskultur entstehen kann.
Zunächst ist eine klare Verortung der Verantwortung auf oberster Managementebene erforderlich, d. h. auf der Ebene, auf der strategische Unternehmensentscheidungen getroffen werden. Oft haben aber die Führungspersönlichkeiten „ganz oben“ kein Bewusstsein für strukturelle Benachteiligungen in ihrer Organisation. Wie können sie dann auf deren Beseitigung hinwirken, um das „E“ – Equity – in ihrem Unternehmen zu erreichen? Viele haben selbst nicht erlebt, was es bedeutet, viel Energie darauf zu verwenden, so zu sein, wie es von ihnen erwartet wird, anstatt sich mit ihrem „besten Ich“ voll entfalten und einbringen zu können.
Erst wenn Topmanager:innen Räume für diese Entfaltung schaffen, entstehen Bedingungen, unter denen sich Menschen wirklich sicher fühlen, ihre gesamte Persönlichkeit einzubringen. So können sich Mitarbeiter:innen, Teams und ganze Organisationen weiterentwickeln. Unsere Erfahrung zeigt: Ohne ein starkes Mandat von oben bewegt sich fast nichts.
Dieses inklusive Handeln (das „I“, Inclusion) ist eine Kompetenz, die Führungskräfte lernen und weiterentwickeln können. Dafür braucht es zunächst einen tief im Inneren der Führungspersönlichkeit verankerten Veränderungswillen.
Der „Case for Change“ ist je nach Persönlichkeit, Prägung und eigener Diversität ein anderer, den man oft nur in mutigen, persönlichen Gesprächen herausarbeiten kann. Während viele Topentscheider:innen intellektuell verstehen, dass sie ihr Unternehmen diverser und inklusiver gestalten müssen, fehlt es oft an der eigenen, sehr persönlichen, emotionalen Zustimmung. Nur wenn es der Führungsperson gelingt, ihren individuellen, authentischen „Case for Change“ zu bauen, kann sie eine spürbare Wirkung hin zu einer inklusiven Kultur erzielen.
Fehlt Führungspersonen dieses innere Verständnis, halten sie möglicherweise unbeabsichtigt Vorurteile und Ungleichheiten aufrecht.
Darüber hinaus müssen die – oft im Rahmen des HR-initiierten Diversity Managements definierten – DEI-Ziele auf die Gesamtverantwortung und -strategie, einschließlich einer inklusiven Kultur, einzahlen und nicht nur isoliert auf Diversity-Quoten (z. B. ein Geschlechterverhältnis von 50:50 bei Beförderungen). Sonst besteht die Gefahr, dass wesentliche kontextspezifische oder kulturelle Faktoren (i. S. v. Zugehörigkeitsgefühl oder Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen), die eine Aussage über die Inklusivität einer Kultur treffen können, außen vor bleiben.
Wir sind davon überzeugt, dass die Unternehmensspitze eine Vorreiterrolle einnehmen muss, damit D, E und I in Unternehmen gleichermaßen gelebt werden. Wenn Topmanager:innen das Potenzial von DEI intellektuell und emotional authentisch erkennen und ihre Verantwortung annehmen, sind sie in der einmaligen Position, nachhaltige und zukunftsfähige Veränderungen in ihrer Organisation anzustoßen. Veränderungen, die vor allem strategisch Sinn machen – in einer Unternehmensrealität, die sich mit vielen komplexen Herausforderungen zur selben Zeit konfrontiert sieht –, und mit der sie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Ohne eine Kultur, die sich durch einzigartige Persönlichkeiten mit diversen Sichtweisen und Hintergründen auszeichnet, die fähig sind, je nach Lage neue Lösungen zu erarbeiten, können diese Herausforderungen nicht gemeistert werden. Dafür braucht es authentische Führungspersönlichkeiten, die mit bestem Beispiel vorangehen.